Die Forschung spielt in der Arbeit der Kunststätte Bossard eine wichtige Rolle. Die Erhaltung und Verwahrung des Künstler-Nachlasses, vom Grundstück mit Baudenkmalen über den künstlerischen Nachlass bis hin zu den schriftlichen Archivalien, Fotografien sowie der Bibliothek des Künstlerehepaars, ist uns Verpflichtung und bietet vielfältige Ansatzpunkte für wissenschaftliche Projekte.
Zu unserer Forschung gehört die Veröffentlichung der Resultate mit Ausstellungen, Vorträgen, Tagungen und insbesondere in dauerhaft verfügbarer Form als Publikationen.
Oberste Priorität im Bereich der Forschung hat aktuell die Frage der Geisteshaltung des Künstlerehepaars Bossard zur Zeit des Nationalsozialismus sowie die Erstellung eines analog-digitalen Vermittlungskonzeptes des Gesamtkunstwerkes, das Anstöße für gesellschaftlichen Diskurs und Räume für den Austausch schafft.
Die Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard beauftragte 2021 das Institut für Zeitgeschichte (IfZ), München–Berlin, um das Verhältnis der Bossards zum Nationalsozialismus zu skizzieren und Forschungsfragen zu formulieren. Der Historiker und Experte für Neuere Deutsche Geschichte PD Dr. Tobias Hof wertete in diesem Zuge den schriftlichen Nachlass des Künstlerehepaars (vor allem private Briefkorrespondenz), ihren Bibliotheksbestand sowie das Netzwerk aus Freunden und Förderern aus.
Um Johann M. Bossards ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus präziser greifen zu können und insbesondere auch die Geisteshaltung und Rolle von Jutta Bossard zu hinterfragen, wurde das IfZ 2023 mit der Fortsetzung und Vertiefung der Forschungen beauftragt. Der Stiftungsrat der Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard folgte damit der Empfehlung der von Dr. Hof vorgeschlagenen Forschungsthemen.
Die im April 2024 vorgestellten Folgegutachten bestätigen, dass die historische Verortung des Ehepaars Bossard noch heute schwierig ist. Nicht nur die geschichtswissenschaftliche Erforschung der NS-Kunst und der Umgang mit dieser in der Nachkriegszeit ist unzureichend. Auch sind andere Forschungsgebiete, die für eine historisch-kritische Kontextualisierung des Ehepaars Bossard wichtig sind, bislang nur bruchstückhaft aufgearbeitet. Hierzu zählt auch die historische Untersuchung der Verbindungen des okkulten sowie völkisch-religiösen Milieus mit der NS-Bewegung, den als »völkisch« einzuordnenden Künstlerinnen und Künstlern oder den völkischen Netzwerken, die sich nach 1945 in der Bundesrepublik entwickelten.
Vorgutachten zur Frage des Verhältnisses von Johann Michael Bossard und Jutta Bossard zum Nationalsozialismus (2022)
Erste Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2022 finden sie hier.
Das Forschungsprojekt wurde gefördert durch:
Weiterführendes Gutachten zur Geschichte der Kunststätte Bossard und zum Leben und Werk des Künstlerehepaars Johann Michael Bossard und Jutta Bossard (2024)
Das weiterführende Gutachen aus dem Jahr 2024 finden sie hier.
Das Forschungsprojekt wurde gefördert durch: die Stiftung Niedersachsen und den Freundeskreis Kunststätte Bossard e. V..
Förderprojekt "Pro*Niedersachsen"
Seit März 2024 leitet Dr. Eva Lütkemeyer das Projekt „Neustart der Kunststätte Bossard. Konzept für die Vermittlung eines schwierigen Erbes in Niedersachsen“. Das Projekt wird über das Landes-Förderprogramm „Pro*Niedersachsen – Kulturelles Erbe – Forschung und Vermittlung in ganz Niedersachsen“ getragen.
Ziel des 12-monatigen Forschungsvorhabens ist es, das Gesamtkunstwerk der Kunststätte Bossard in seinen zeithistorischen Kontext zu stellen und sowohl vor Ort als auch im digitalen Raum in angemessener und innovativer Form der Öffentlichkeit zu präsentieren. So soll das Leben und Wirken des Künstlerehepaars Bossard verständlich gemacht werden und damit ein Beitrag geleistet werden zum musealen Umgang mit Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts.
Durch die kritisch-reflektierte Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte auf der Grundlage neuer Forschungsergebnisse, erfährt die Kunststätte Bossard neben ihrer kunsthistorischen Bedeutung eine Neubewertung als Ort mit einem schwierigen Kulturerbe.
In welchem zeitlichen Kontext ist das künstlerische Werk entstanden?
Welches Weltbild steckt dahinter?
Welche Parallelen und welche Unterschiede gibt es zu anderen Künstlern der Zeit?
Wie verhielten sich Johann und Jutta Bossard gegenüber dem NS-Regime?
Am Beispiel der Bossards soll das völkisch-konservative Künstlermilieu im ausgehenden 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts thematisiert und mit klaren Definitionen komplexer Begrifflichkeiten an die Besuchenden niedrigschwellig vermittelt werden.
Im Ergebnis soll das Projekt auch Anstöße für gesellschaftlichen Diskurs bieten, Räume des Austausches schaffen und nicht zuletzt vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Entwicklungen für Werte und Haltungen sensibilisieren.
Gefördert mit Mitteln aus zukunft.niedersachsen, ein Förderprogramm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung
Aus Anlass der aktuellen Forschungsdebatte findet an der Kunststätte seit dem Jahr 2021 die Veranstaltungsreihe " Reden bei Bossard" statt. Die Termine der Reihe finden Sie in unserem Kalender und hier
Die Ergebnisse der ersten Forschung finden Sie als Download hier sowie in einem Mitschnitt der Veranstaltung hier.
Das Vorgutachten warf über den Zeitraum der NS-Diktatur hinaus einen Blick auf Bossards Lebensstationen sowie sein politisches, gesellschaftliches, religiöses und künstlerisches Weltbild. Aufgezeigt wurde die Ambivalenz von Johann M. Bossards Handlungen und seiner Weltanschauung. Seine grundlegende Ablehnung der rapiden gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Modernisierungsprozesse des ausgehenden 19. Jahrhunderts führte zu einem Pessimismus, der ihn für Lehren empfänglich machte, die ihm in der wahrgenommenen »Krisenzeit« eine Alternative boten.
Bossards Weltanschauung, Kunstverständnis und sein künstlerisches Schaffen sowie sein Verständnis der politischen Verhältnisse wurde sowohl durch die Gedanken der Lebensreformbewegung als auch der okkulten Theosophie und der völkisch-rassistischen Lehre der Ariosophie beeinflusst. Deren Anhänger hofften auf die Erneuerung des »deutschen Volkes« zum Heil der gesamten Welt. Bossard entwickelte eigene sozialutopische Ideen. Dabei war sein rassetheoretisches Denken anschlussfähig an die rassisch-antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten.
Bossard war keine Ausnahmeerscheinung, sondern kann als ein Repräsentant eines völkischen Milieus gesehen werden. Spätestens seit 1930 zeigte er Interesse an der NS-Bewegung und suchte nach weltanschaulichen Überschneidungen. Zu Beginn des »Dritten Reichs« (1933/34), erhoffte sich Bossard eine größere Anerkennung seiner Kunst, die ihm jedoch verwehrt blieb, obwohl er sich als Künstler in den Dienst der neuen Machthaber stellen wollte. Das NS-Regime verfolgte letztlich andere Ideen und Ideale als der Künstler. Bossard war kein aktiver Unterstützer der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. In den eingesehenen Dokumenten konnten bislang keine Belege gefunden werden, dass er den rücksichtslosen Ausbau zur Diktatur oder eine Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und damit einen der Kernpunkte nationalsozialistischer Ideologie befürwortete.
In der Nachkriegszeit blieb Bossard seiner völkischen und national-konservativen Weltanschauung verbunden, sprach sich jedoch nicht mehr für eine Überlegenheit der »deutschen Rasse« aus. Wie die Mehrheit der Deutschen wies er die deutsche Schuld am Nationalsozialismus, am Zweiten Weltkrieg und an den Kriegsverbrechen von sich. Er hing dem Opfernarrativ an.
Die Ergebnisse der weiterführenden Forschung finden Sie als Download hier sowie einen Mitschnitt der Veranstaltung in Kürze hier.
1. Von Fidus bis Nolde: Johann Michael Bossard und die Kunstszene der 1870er bis 1950er Jahre
In der ersten Studie untersuchte Dr. Hof die Netzwerke, die Johann M. Bossard im späten 19. Jahrhundert aufzubauen begann. Über seine Beschäftigung mit der Theosophie, der Anthroposophie und insbesondere mit den Ideen der Lebensreform- und der Siedlungsbewegung lernte Bossard Vertreter deutsch-nationaler und völkischer Kreisen kennen. Bei diesen Annäherungen spielten seine persönlichen Netzwerke aus der Münchner Zeit, seine Mitarbeit am »Jungbrunnentisch« des Verlags Fischer & Franke und die damit einhergehende Bekanntschaft mit Franz Stassen und Hermann Hirzel, sowie Arthur Kampf, seinem Lehrer in Berlin, eine wichtige Rolle. Bossards Kontakt zu Seeßelbergs Werdandi-Bund zwischen 1907 und 1914, einem der wichtigsten – wenn auch kurzlebigen – Vereinigungen der völkisch-konservativen Kunstkritik, war dabei die logische Folge seiner Annäherungsversuche. Die Netzwerke, Multiplikatoren und Förderer hatten für den freischaffenden Künstler eine enorme Bedeutung.
Über die skizzenhafte Darstellung der Lebensläufe, Weltanschauungen und Handlungen von 16 ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern (z. B. Fritz Höger, Fahrenkrog, Fidus, Emil Nolde und Josef Thorak) ermöglicht Dr. Hof eine fundierte und tiefergehende Einordnung, Abgrenzung und Kontextualisierung des Künstlers Johann M. Bossard.
Die vorgestellten Vertreterinnen und Vertreter der völkischen Kunstszene werteten wie Bossard den Ersten Weltkrieg als Bestimmung des »deutschen Volkes« und als einzige Möglichkeit zur Wiedergeburt des »neuen Menschen«. Während der Weimarer Republik sprachen viele eine republikfeindliche Haltung aus und hofften, mit ihrer Kunst einen besonders wichtigen Beitrag zur Erneuerung des »deutschen Volkes« leisten zu können. Völkische Weltanschauungen bestätigten materielle Sorgen und berufliche Krisen, die durch den sich wandelnden Kunstmarkt und die Ablehnung ihrer Werke zugunsten der modernen Avantgarde verursacht wurden.
Auch wenn Bossard aufgrund von weltanschaulichen Überschneidungen die Nähe zur NS-Bewegung sucht, finden sich derzeit keinerlei Belege dafür, dass er während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik ein aktives Mitglied in einer der nationalsozialistischen Organisationen oder Parteien war, im Gegensatz zu anderen vorgestellten Künstlerinnen und Künstlern. Bossard blieb seinen völkischen und national-konservativen Weltanschauung verbunden, der auch ein latenter Antisemitismus inhärent war, obwohl die Nationalsozialisten auf dem künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Gebiet andere Ideale verfolgten.
Nach Beginn der Tätigkeit als Hochschullehrer in Hamburg, unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, fanden Bossards Bemühungen um Aufbau von Netzwerken ein Ende. Dank seiner Förderer und seines Hochschulgehalts konnte er sich unabhängig vom Geschmack des Kunsthandels künstlerisch betätigen – auch im »Dritten Reich«. Anders als Fidus oder Höger bestand für ihn nicht die finanzielle Notwendigkeit diese Annäherungsversuche weiterzuverfolgen.
Auch das eigene Selbstverständnis entschied über Erfolg und Misserfolg im »Dritten Reich«. Verbunden damit war der Anspruch, ein »zeitloses« Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners zu schaffen und /oder sich in alternativen Siedlungs- beziehungsweise Wohnkolonien zu verwirklichen. Beides sollte auf seine jeweils eigene Art zur Gesundung des deutschen Volks beitragen. Neben Bossard Gesamtkunstwerk versuchten auch Fahrenkrog oder Fidus sich an der Umsetzung dieser Gedanken. Zumeist blieb es bei theoretischen Auseinandersetzungen.
In der Nachkriegszeit überwogen die Gemeinsamkeiten zu anderen Künstlerinnen und Künstlern. Pessimismus, Resignation, Leugnung, Verbitterung und Politikverdrossenheit dominieren das Denken und Handeln dieser Personen. Einige unternahmen Versuche, völkisch-konservative und rechtsextreme Netzwerke und Gruppen zu reaktivieren und wieder zu beleben. Am erfolgreichsten auf diesem Gebiet war das vom ehemaligen NS-Reichsfachschaftsleiter für Lyrik Herbert Böhme im Jahr 1950 gegründete Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes.
Der Vergleich mit anderen Künstlerinnen und Künstler verdeutlicht, dass Bossard kein Sonderfall war. Sowohl sein Lebenslauf, sein künstlerisches Werk sowie seine völkisch-konservative Weltanschauung lässt sich immer wieder – zumindest punktuell – mit anderen Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Kunstszene der 1870er bis 1950er Jahre in Bezug setzen. Es gab jedoch auch Unterscheidungen, wie die Tatsache zeigt, dass er sich nach seinen anfänglichen Bemühungen um Anerkennung und aktiver Mitwirkung im NS-Regime resigniert zurückzog. Letztlich sind es diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die die Heterogenität der völkisch-konservativen Kunst- und Kulturszene in Deutschland zu dieser Zeit sowie deren Verbindungen zu anderen Milieus zum Vorschein treten lassen.
2. Das Privatleben des Künstlerehepaars Bossard und die Geschichte der Kunststätte
Selbst als Johann M. Bossard zusammen mit seiner Frau Jutta, seiner Schwägerin Wilma Krull und seinen Freunden und Bekannten versuchte, punktuell seine sozialutopische Allmende auf dem ländlichen Heidehof zu realisieren, war er nicht derart abgeschottet, wie dies vielfach behauptet wurde. Erst seine Lehrtätigkeit in Hamburg sowie die Unterstützung seines Umkreises machten es ihm möglich, einige Ideen seiner alternativen Siedlungskommune umzusetzen.
Nach Johann Bossards Tod intensivierte Jutta Bossard – die in dieser Studie nicht nur als Ehefrau, sondern auch als Verwalterin des Gesamtkunstwerks in den Blick genommen wird – den Kontakt zur Außenwelt, um die Aufmerksamkeit auf die Kunststätte und die Kunst ihres Mannes zu lenken. Dabei vernetzte sie sich in den 1950er und 1960er Jahren mit völkischen Gruppierungen wie dem Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes, das 1950 durch den ehemaligen NS-Reichsfachschaftsleiter für Lyrik Herbert Böhme gegründet worden war. Das völkisch ausgerichtete Kulturwerk versammelte zahlreiche ehemalige NS-Künstler und Künstlerinnen sowie als rechtsextremistisch eingestufte Literaten und wurde vom Bundesverfassungsschutz beobachtet. Ursächlich für Jutta Bossards Kontakte zu völkischen Kreisen waren nach heutigem Kenntnisstand sowohl materielle Gründe, der Wunsch nach Anerkennung, persönliche Kontakte sowie eine weltanschauliche Nähe, die sie auf den Gebieten der Demokratieskepsis, des Kulturpessimismus, eines völkisch-konservativen Kulturverständnisses sowie der Ablehnung der modernen Kunst auszumachen glaubte.
Eine enge Freundschaft verband Jutta Bossard auch mit dem Ungarn Ferenc Orsós, Professor der Malerei, Grafik und Künstlerischen Anatomie an der Universität Mainz. In den 1930er und 1940er Jahren war Orsós Professor für Rechtsmedizin an der Universität Budapest sowie Präsident der ungarischen Ärztekammer. Zudem war er Sprecher der internationalen Ärztekommission zur Aufklärung des Massakers in Katyn und setzte sich für eine Verschärfung der antijüdischen Gesetzgebung in Ungarn ein. Nach der deutschen Besatzung Ungarns war er daran beteiligt, den Deutschen Listen jüdischer Ärzte zu übergeben, die anschließend in Konzentrationslager deportiert und dort zum Großteil ermordet wurden. Ob Jutta Bossard von Orsós Vergangenheit, seinen antisemitischen und pro-nationalsozialistischen Positionen Kenntnis hatte, konnte anhand der zugänglichen Dokumente nicht abschließend geklärt werden.
Spätestens seit den 1970er Jahren kann – auch bedingt durch ein allgemein gestiegenes Interesse in der deutschen Öffentlichkeit am Jugendstil, der Lebensreformbewegung und der künstlerischen Idee des Gesamtkunstwerks – ein verstärktes Interesse an Johann M. Bossard und seinem Werk ausgemacht werden. Dennoch blieb Jutta Bossards Misstrauen gegenüber der deutschen Kunstwissenschaft bestehen und verzögerte dadurch auch eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit Johann Bossards Leben und Werk.
Die verschiedenen Ansätze Jutta Bossards, das Gesamtkunstwerk nach ihrem eigenen Tod für die Nachwelt zu erhalten, wird erstmals aufgezeichnet und in den historischen Kontext eingebettet. Erst 1995, ein Jahr vor dem Tod von Jutta Bossard, sichert die Gründung der Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard den Erhalt der Kunststätte Bossard und legt den Grundstein für die museale Aufarbeitung und Vermittlung des Gesamtkunstwerks.