Claudia Wissmann.

Lichtinstallation für den Eddasaal anlässlich der 9. Jesteburger Kunstwoche

 

05.09.2010 – 31.10.2010

Der Eddasaal in seiner heutigen Form entstand zwischen 1930 und 1935, als Johann Bossard zusammen mit seiner Ehefrau Jutta und seinem Schüler Franz Hötterges sein ehemaliges Atelier künstlerisch ausgestaltete. Mit der Raumgestaltung wollte Bossard einen Impuls für eine gesellschaftliche Erneuerung in Deutschland geben. Den Vorstellungen Richard Wagners folgend, sollte die Kunst, die sich frei von Verkaufsinteressen entfaltet, zur idealen Selbstverwirklichung eines Volkes beitragen. Entsprechend dem Ziel einer nationalen Erneuerung stellte Bossard die Götterwelt und die heldenhafte Vergangenheit des deutschen Volkes dar, wie man sie im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Edda, im Nibelungenlied, in der Wielands- und in der Gudrunssage zu erkennen glaubte. Der kunstfertige Schmied Wieland, den Bossard am Eingangstor zum Eddasaal zeigt, verkörpert dabei symbolisch die deutsche Nation, die sich mit Hilfe der Kunst aus einer Notlage befreien und zu neuen idealen Höhen aufschwingen sollte.

Seine künstlerischen Ziele hat Bossard in einem regelrechten Gestaltungswahn umgesetzt: Jede zur Verfügung stehende Oberfläche wurde in Kunst transformiert, industriell Gefertigtes wurde bemalt, beschnitzt oder hinter künstlerisch gestalteten Elementen verborgen. Eine Vielzahl von Materialien und nahezu jede vorstellbare künstlerische Technik – Malerei, Skulptur, Relief, Mosaik, Glasmalerei – kamen zur Anwendung. Das Ergebnis ist ein intensiver Raumeindruck, in dem die einzelnen Elemente zueinander in Konkurrenz stehen, einander förmlich zu bedrängen scheinen.

Die Lichtkünstlerin Claudia Wissmann reduziert die zahlreichen Gestaltungselemente des Eddasaals auf einzelne Szenen, die im abgedunkelten Raum durch zwei bewegliche Scheinwerfer angeleuchtet werden. Die Lichtkreise schweifen umher, um immer wieder innezuhalten und einzelne Reliefs und Bildausschnitte länger auszuleuchten. Reduktion an Stelle von Überfülle, Konzentration an Stelle von Opulenz und Medienkonkurrenz – eine künstlerische Gegenposition zu dem von Johann Bossard konzipierten Gesamtkunstwerk? Tatsächlich ist das Spiel mit Helligkeit und Dunkelheit aber auch eine Interpretation des Eddasaals im Sinne von Johann Bossard, versinnbildlichten für ihn doch die Göttermythen und Heldensagen der Edda den Kampf des Lichtes mit der Finsternis.

Die Scheinwerfer sind im Nebenzimmer des Eddasaals hinter zwei schweren hölzernen Lehnstühlen angebracht, die aus dem Inventar der Kunststätte stammen. Die leeren Sitze erinnern an die Bildformel der Hetoimasia, des leeren Throns. In den orientalischen und mediterranen Kulturen war der leere Thron ein Sinnbild der unsichtbaren, geistigen Anwesenheit im Toten- und Götterkult; die frühchristliche Kunst übernahm ihn als Verweis auf den kommenden Weltenrichter. Die beiden über den Lehnen angebrachten Strahler verstärken den Eindruck einer spirituellen Präsenz; wie übergroße Augen scheinen sie aus dem dunklen Nebenraum in den Eddasaal hineinzuspähen.

Die beiden Stühle stehen zwischen den geöffneten Türflügeln des Gudruntors, das kalt getriebenen Bronzereliefs von Johann Bossard und reiche Holzschnitzereien von Jutta Bossard miteinander vereint. Die figürlichen Darstellungen des Tors zeigen immer wieder Mann und Frau, die einander zugeordnet und auch als Gegensätze gegenübergestellt sind. Das Stühlepaar als Substitut des verstorbenen Künstlerehepaars tritt damit zu den Paardarstellungen des Gudruntors in Bezug.

Bemerkenswerterweise hat Claudia Wissmann mit ihrer Installation, ohne es zu wissen, eine Situation nachvollzogen, die der Nutzung des Raumes durch Johann und Jutta Bossard entspricht. Familienangehörige berichten, dass das Künstlerehepaar am Abend gerne auf den beiden Lehnstühlen im Nebenraum saß, um auf die Westwand des Eddasaals zu blicken und einzelne Details im wechselnden Licht zu betrachten. Damit ermöglicht es die Installation auch, die ursprünglich von Bossard intendierte Rezeption des Eddasaals nachzuvollziehen: langsames, durch die Lichtverhältnisse gesteuertes Betrachten der verschiedenen Darstellungen und insbesondere der Szenen auf der Westwand, in denen sich das verhängnisvolle Schicksal der nordischen Götter entspinnt und erfüllt.

Für die Förderung der Ausstellung danken wir dem

 

Abbildungen

 

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